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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 22.03.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 170/06
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 120 Abs. 1 S. 1 |
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss
In der Strafsache
wegen Verdachts des versuchten Einbruchsdiebstahls,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 22. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... , den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... beschlossen:
Tenor:
Auf die weitere Beschwerde des Angeschuldigten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Lingen vom 29. Oktober 2005 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und insoweit entstandene notwendige Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse.
Gründe:
Der Beschuldigte ist am 28. Oktober 2005 vorläufig festgenommen worden und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Lingen vom 29. Oktober 2005 in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl wird ihm als versuchter gemeinschaftlich begangener Diebstahl in einem besonders schweren Fall zur Last gelegt, am 28. Oktober 2005 gemeinsam mit seinem 14jährigen Neffen versucht zu haben, in ein Radio und Fernsehgeschäft in Lingen einzubrechen, wobei durch den Steinwurf in eine Fensterscheibe allerdings die Geschäftsinhaber geweckt wurden, weshalb es nicht zur Vollendung der Tat kam. Der dringende Tatverdacht besteht nach dem Haftbefehl "aufgrund des Ergebnisses der bisherigen Ermittlungen", als Haftgrund ist Fluchtgefahr wegen der zu erwartenden Strafe und in Hinblick auf weitere noch auszuermittelnde Diebstahlstaten angegeben.
Der Angeschuldigte und sein Neffe haben die Tat noch am Tage ihrer Festnahme gestanden. Am nächsten Tage hat der Angeschuldigte sein Geständnis vor dem Haftrichter bestätigt.
Wegen der im Haftbefehl bezeichneten Tat sowie weiterer drei Taten ist gegen den Angeschuldigten und seinen Neffen unter dem 25. Januar 2006 Anklage erhoben worden. Über deren Zulassung und die Eröffnung des Hauptverfahrens ist noch nicht entschieden.
Das Landgericht Osnabrück hat mit Beschluss vom 17. Februar 2006 die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl verworfen. In dem Beschluss werden das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und des Haftgrundes der Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft bejaht und ausgeführt, die Ermittlungsbehörden hätten das Verfahren mit der gebotenen Schnelligkeit betrieben, wie bereits in der früheren Beschwerdeentscheidung vom 12. Januar 2006 ausgeführt worden sei. Dort wird wegen der Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes auf ein Schuhabdruckgutachten des Landeskriminalamtes vom 17. November 2005 und auf den Eingang des polizeilichen Schlussberichtes bei der Staatsanwaltschaft am 3. Januar 2006 verwiesen.
Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit der weiteren Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Es führt zur Aufhebung des Haftbefehls.
Der Beschuldigte ist allerdings der im Haftbefehl bezeichneten Straftat aufgrund seines Geständnisses dringend verdächtig. Insofern ist jedoch zu beanstanden, dass in dem Haftbefehl die Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht ergibt, entgegen § 114 Abs. 2 Nr. 4 StPO nicht ausreichend angeführt worden sind. Die völlig unkonkrete und floskelhaft erscheinende Angabe, der Tatverdacht bestehe "aufgrund des Ergebnisses der bisherigen Ermittlungen", wird der Funktion des Haftbefehls nicht gerecht und ist insoweit völlig unzureichend, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 114 Rdn. 4, 11 mit weiteren Nachweisen. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss die Tatsachengrundlage des dringenden Tatverdachts allerdings zu Recht in dem Geständnis des Angeschuldigten gesehen.
Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Auf den ausländischen Wohnsitz des Angeschuldigten kommt es insoweit nicht an. Denn unabhängig hiervon ist zu befürchten, dass der Angeschuldigte sich der zu erwartenden Bestrafung durch eine Flucht entziehen wird, weil er ledig, kinderlos, hoch verschuldet und arbeitslos sowie ohne eigene Wohnung und sozial nicht in einem Maße eingebunden ist, welches dem erheblichen Fluchtanreiz ausreichend entgegen wirkte. Dies gilt um so mehr, als er angegeben hat, auch in den Niederlanden Straftaten begangen zu haben. Bei der Einschätzung der Straferwartung hat das Landgericht auch zu Recht die Erhöhung des Fluchtanreizes wegen der vom Angeschuldigten gestandenen weiteren Straftaten berücksichtigt, auch wenn diese nicht Gegenstand des Haftbefehls sind. Im Rahmen der Prüfung, ob Fluchtgefahr besteht, ist unter Berücksichtigung aller insoweit relevanter Umstände eine umfassende Bewertung vorzunehmen, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. § 112 Rdn 19 m.w.Nachw..
Der Haftbefehl kann aber gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO keinen Bestand haben, weil der Ablauf des Verfahrens mit dem in Haftsachen nach Art. 2 Abs. 2 GG zu beachtenden Beschleunigungsgrundsatz (vgl. BVerfGE 20, 45, 50) unvereinbar und auf seiner Grundlage eine weitere Untersuchungshaft nicht verhältnismäßig ist.
Das Verfahren ist nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Die Sache wies in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keinerlei Schwierigkeiten auf, sondern war einfachst gelagert; insbesondere war auch die Beweislage aufgrund des schon am Tage der Verhaftung vom Angeschuldigten abgegebenen und vor dem Haftrichter wiederholten glaubhaften Geständnisses eindeutig. Unter diesen Umständen ist weder ein tragfähiger Grund dafür ersichtlich, warum erst rund drei Monate nach der Verhaftung Anklage erhoben worden ist, noch dafür, dass über die Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht entschieden worden ist, noch dafür, dass eine Hauptverhandlung letztlich erst fast 6 Monate nach Beginn der Untersuchungshaft stattfinden soll.
In dieser Hinsicht ist es namentlich unerheblich, dass in der Zwischenzeit weitere, im Haftbefehl nicht aufgeführte Taten aufgeklärt wurden. Darin liegt kein Grund für eine verzögerte Erledigung dieser Haftsache. Nur der Haftbefehl ist die Grundlage der Untersuchungshaft. Er rechtfertigt diese allein zur Sicherung des Strafverfahrens hinsichtlich derjenigen Tat, die in ihm bezeichnet ist, vgl. BVerfG NStZ 2002, 100. Untersuchungshaft darf insbesondere keinesfalls dazu eingesetzt werden, quasi einen zeitlichen Freiraum für die Ausermittlung weiterer vermuteter Straftaten zu schaffen. Besteht hinsichtlich solcher ein dringender Tatverdacht, so kann eine Erweiterung des Haftbefehls geboten sein. Dies war hier der Fall, ist indessen aus nicht ersichtlichen Gründen unterblieben.
Die unnötig lange Dauer des Ermittlungsverfahrens kann entgegen der Ansicht des Landgerichts auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass die polizeilichen Ermittlungen erst Ende 2005 abgeschlossen waren. Die Justizbehörden haben in Haftsachen den Ablauf der polizeilichen Ermittlungen in eigener Zuständigkeit zu überwachen und zu leiten und dürfen nicht bis zur Vorlage des polizeilichen Abschlussberichtes untätig bleiben. Dies gilt um so mehr, wenn - wie hier - eine Tat schon alsbald nach der Verhaftung des Beschuldigten anklagereif ist, weil der Beschuldigte sie vor der Polizei und dem Haftrichter glaubhaft gestanden hat. Das vom Landgericht als Beleg für seine unzutreffende Annahme, die Ermittlungsbehörden hätten das Verfahren "mit der gebotenen Schnelligkeit" betrieben, ferner noch erwähnte Schuhabdruckgutachten war für die hier in Rede stehende Straftat ersichtlich ohne jede Bedeutung.
Die Verfahrensverzögerung lässt sich auch nicht etwa mit Schwierigkeiten wegen der Tatbeteiligung des in die Niederlande entlassenen 14jährigen Mittäters des Angeschuldigten rechtfertigen. Sollten solche vorgelegen haben, wäre insoweit eine Verfahrenstrennung geboten gewesen.
Die weitere Untersuchungshaft wegen der im Haftbefehl bezeichneten Tat steht auch außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe. Der 41jährige Angeschuldigte ist bislang unbestraft. Der ihm zur Last gelegte Einbruchsdiebstahl blieb im Versuchsstadium stecken. Der hierbei angerichtete Sachschaden ist nicht sehr hoch. Auch wenn strafverschärfend die Einbeziehung des - allerdings bereitwilligen - Neffen des Angeschuldigten in die Tat berücksichtigt wird, ist wegen dieser nicht mit einer Bestrafung zu rechnen, die eine weitere Untersuchungshaft im Sinne von § 120 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StPO rechtfertigte. Mögliche Bestrafungen wegen anderer Straftaten sind insoweit nicht zu berücksichtigen, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. § 120 Rdn 4 m.w.Nachw..
Die Kostenentscheidung entspricht § 467 StPO.
Ende der Entscheidung
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